Pubertät ist Herausforderung und Chance

Ein Beitrag von Gottfried Muntschick

Teenager sind nicht das Problem

Ein Mann fährt auf der Autobahn und überholt einen LKW mit Hänger. Plötzlich erscheint im Rückspiegel eine Limousine und drängelt.
Der Fahrer ärgert sich, verlangsamt die Fahrt. Dann schert er nach rechts und macht nonverbale Zeichen der Wut. Gleiche Situation. Drängler kommt und der Verkehrsfunk geht an: “Liebe Autofahrer, bitte fahren sie rechts und lassen sie der schwarzen Limousine freie Fahrt. Ein Kinderarzt fährt zu einer wichtigen Operation, die einem Kind das Leben retten kann.” Der Fahrer möchte sich am liebsten zwischen LKW und Hänger drängeln und die Limousine vorbei lassen. Dann ruft er hinterher: “Fahr gut und rette das Kind!”

Das Problem ist nicht das Problem, sondern wie wir das Problem sehen.

Die Eltern haben ein Problem

“Du bist ja verrückt!” Mit einem Türknallen beendet Karin das Gespräch mit ihrer Tochter. “Ich halte das nicht mehr aus.” ruft diese und wieder knallt eine Tür.
Oft erleben Eltern ihre pubertierenden Kinder als verrückt. Und genau genommen haben Sie Recht. Die Kinder verändern sich innerlich und äußerlich, ihre Einstellung zu den Eltern wird neu justiert. Eben noch kommt der kleine Dreck verschmierte Knuddel zur Tür herein, den man ins Bad schickt und mit einem fröhlichen Gute Nacht Kuss ins Bett bringt. Doch im nächsten Moment stakt da ein ungelenker Schlacks ins Zimmer, der sich nicht mehr umarmen lässt und einem endlose Wortgefechte liefert. Die Entwicklung in der Pubertät ist für die jungen Leute ein atemberaubendes Abenteuer und die Gefühlswelt erleben sie wie eine Achterbahnfahrt. Die Auf- und Abbewegungen des Gemüts sind für Eltern eine starke Herausforderung. Die Pubertät bedeutet für die Eltern das Ende der planbaren Erziehung. Durch ihr inneres und äußeres Wachstum entfernen sich die Kinder von ihren Eltern. Ein Ablöseprozess beginnt, bei der die Teenager eine neue Position einnehmen – sie werden ver-rückt und rücken auch stückweise aus der Familie heraus. Der Freundeskreis gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für die Eltern bedeutet das Schwerstarbeit. Sie müssen sich auch ver-rücken. Sie können ihre Kinder nicht mehr ändern, aber ihre Einstellung zu ihnen.

In der Pubertät geht die entscheidende Phase der Kindererziehung (im Sinne von: kämm dir die Haare, mach deine Hausaufgaben) zu Ende und eine neue Qualität des partnerschaftlichen Elternseins beginnt. Jetzt brauchen die Kinder ganz besonders unser Verständnis, nicht unser Einverständnis. Das fühlt sich für Eltern wie eine Degradierung an. Aber die Kinder sind nicht die Erfüllungsgehilfen elterlicher Wunschvorstellungen.

Wenn Träume zerplatzen

“Wir haben uns so viel Mühe gegeben, viel Geld und Zeit investiert und nun schmeißt er alles hin. Was soll ich tun?” Andreas ist den Tränen nahe, als er von seinem Sohn berichtete, der die Musikschule abbricht und nur noch auf dem Bett herumlümmelt. Die Zensuren lassen nach, die Lehrer beklagen sich und das Klima zuhause gleicht einer Gewitterstimmung. Alles was früher richtig war, ist in seinen Augen heute falsch. Jeder Satz, jede Handlung der Eltern wird gekontert und infrage gestellt. Hier fühlen sich Eltern wie auf dem Prüfstand der Erziehung und befürchten das Testergebnis: ungenügend. Aber diese Sorge ist unbegründet, denn der Teenager selbst steht auf dem Prüfstand. Er sucht die Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Dieses Suchen ist begleitet von Wahrnehmungsstörungen und Angstgefühlen. Das müssen Eltern ernst nehmen. Das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung wachsen in dieser Zeit und da ist eine gute Freundin mehr wert als gute Zensuren. Was den Eltern manchmal als ordinär, polternd oder unverschämt vorkommt, ist der äußere Schutzschild einer inneren Unsicherheit. Davon sollten sich Eltern nicht abschrecken lassen. Teenager brauchen den Raum für eigene Erfahrungen, auch wenn sie gegen unsere Vorstellungen sind. Und Teenager brauchen uns, auch wenn sie das heftig bestreiten. Hier zeigen sich Reife und Kreativität der Eltern, die immer wieder den Kontakt mit den Jugendlichen suchen und ihre Wohnungen und Häuser weit öffnen sollten.

Niemand ist perfekt

Die Teenagerphase ist geprägt von Gegensätzen. Heute himmelhoch jauchzend und morgen zu Tode betrübt; morgens nicht aus dem Bett zu bekommen und abends nicht hinein, eben noch gelangweilt rumhängen und im nächsten Augenblick begeistert die Welt retten. Diese Wechsel bedeutenden Wachstum und was hier wächst ist das Führungspotenzial der Zukunft. Es ist eine hoffnungsvolle Sicht für Teenagereltern, dass ihr Engagement, ihre Geduld und ihrer Liebe Menschen prägen, die die künftige Gesellschaft beeinflussen.

Die Größe dieser Aufgabe zeigt auch ihre Begrenzung. Wie gerne hätten wir es anders? Wie oft wünschten wir es, besser zu machen? Wir sollten uns ein Schild umhängen mit der Aufschrift: Achtung Baustelle! Die Arbeit an der Beziehung zu unseren Kindern ist nie zu Ende. Deshalb dürfen wir uns in Zeiten, wo alles zusammenzubrechen droht und uns die Kräfte ausgehen, klar machen, dass wir nicht die Bauherren sind. Im Vertrauen auf Gott dürfen wir ihm unsere Kinder anbefehlen oder wie es meine Schwiegermutter sagte: “Luft anhalten, Hände falten!”

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